Kuba

Kubanisches Kino ist ein Kino, das in erster Linie Havanna und Umgebung entsteht. Hier existiert die Infrastruktur, da befindet sich das staatliche Filminstitut ICAIC, bei ihm sind die Filmschaffenden angestellt. Es produziert Filme, es exportiert Filme und hat mit dem «Chaplin» auch ein eigenes Kino, in dem auch Filme zu sehen sind, die sonst kaum aufgeführt werden. Als wichtigste Kinozeit im Jahr gilt der Dezember, denn dann findet das Internationale Filmfestival statt, und dieses öffnet das Leinwandfenster auf die Welt. Auf der Karibikinsel gibt es auch eine sehr gute Filmschule in San Antonio de los Baños, ausserhalb der Hauptstadt. Das kubanische Institut für Filmkunst und Filmindustrie (ICAIC) war anfangs der 1960er Jahre auf Grundlage eines der ersten Gesetze, die von der Revolutionsregierung erlassen wurden, gegründet worden. Lenins Idee von der Wichtigkeit des Kinos für das Volk wurde in ihm verwirklicht. (...)

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Kubanisches Kino ist ein Kino, das in erster Linie Havanna und Umgebung entsteht. Hier existiert die Infrastruktur, da befindet sich das staatliche Filminstitut ICAIC, bei ihm sind die Filmschaffenden angestellt. Es produziert Filme, es exportiert Filme und hat mit dem «Chaplin» auch ein eigenes Kino, in dem auch Filme zu sehen sind, die sonst kaum aufgeführt werden. Als wichtigste Kinozeit im Jahr gilt der Dezember, denn dann findet das Internationale Filmfestival statt, und dieses öffnet das Leinwandfenster auf die Welt. Auf der Karibikinsel gibt es auch eine sehr gute Filmschule in San Antonio de los Baños, ausserhalb der Hauptstadt. Das kubanische Institut für Filmkunst und Filmindustrie (ICAIC) war anfangs der 1960er Jahre auf Grundlage eines der ersten Gesetze, die von der Revolutionsregierung erlassen wurden, gegründet worden. Lenins Idee von der Wichtigkeit des Kinos für das Volk wurde in ihm verwirklicht. Die Filmschaffenden hatten grosse Freiheiten und wurden nicht wie in anderen kommunistischen Ländern von Dogmen beschnitten. Immer wieder betonten sie ihre Freiheit, denn während die Medien Kubas einer starken Kontrolle unterliegen, konnten Filmschaffende im Wesentlichen frei arbeiten, werden die Filme in der Regel auch nachträglich nicht behindert. Grundlage für diese Offenheit gegenüber künstlerischer Kreativität war Fidel Castros Rede an die Intellektuellen, in der er die Maxime «Innerhalb der Revolution alles, gegen die Revolution nichts» formulierte. Was dem ICAIC heute allerdings fehlt, sind die Mittel. Die einst blühende Produktion ist klein geworden, während immer mehr ausländisch produzierte Filme auf der Insel entstehen, teils mit Hilfe des ICAIC, wie «Una Noche» der Britin Lucy Mulloy, oder «7 dias in Havana» mit Promis aus dem Filmbusiness, die die Klischees von Kuba spazieren führen.

Nationale Filmindustrie

Die nationale Filmindustrie konnte sich auch auf Grund finanzieller und ideeller Unterstützung aus Europa etablieren. Dafür erleben Filmschaffende aus Kuba immer wieder einseitige politische Betrachtungen ihrer Arbeiten im Ausland. Natürlich spielt der politische Hintergrund auch in Filmen, die nicht explizit politisch sind, eine Rolle, natürlich ist jeder künstlerische Ausdruck immer irgendwie politisch, selbst und gerade auch dann, wenn er es betont nicht sein will. Aber auf Reisen und an Festivals, bei Interviews und in Publikumsgesprächen werden kubanische Filmschaffende regelmässig absurdeste Dinge gefragt. Etwa, warum Fidel Castro in ihrem Film nicht auftauche oder ob ihr Film denn für oder gegen Castro sei. «Wird Steven Spielberg je gefragt, ob sein Film für oder gegen den US-Präsidenten sei», hat Fernando Pérez deshalb auch schon mal zurückgefragt. Bei der Präsentation seines Films «Suite Habana» wurde in einem Publikumsgespräch danach gefragt, was er von der vorübergehenden Verhaftung zweier Journalisten halte – aber niemand erkundigt sich bei ihm oder bei einem US-Regisseur, was mit den seit Jahren von den USA auf Kuba bar jeglicher Rechtsgrundlage und jenseits simpelsten Menschenrechts in Käfigen gehaltenen Menschen aus Asien sei.

Vieles wirkt in und um Kuba sofort politisch. Die Künstlerinnen und Künstler haben damit Leben gelernt. Aber eigentlich möchten auch sie ganz einfach Geschichten erzählen, vom Leben berichten, das Leben betrachten und es übers filmische Träumen auch leichter machen. Am Anfang wie am Ende von «La vida es silbar» sitzt eine junge Frau mit Namen Bébé auf der Mauer am Malecón. Bébé ist auch als Frau ein Kind geblieben, das sich die Welt so vorstellen kann, wie es sie haben möchte. Das ist fürs kubanische Kino noch typischer als für andere Kinematografien: Man will sich die Welt nach eigenen Vorstellungen erfinden und dabei auf Elemente setzen, die einem vertraut, die einem lieb sind. Nicht immer hat die staatliche Zensur die tieferen Schichten, die diese Filme so reich machen, toleriert. So kam «Alicia en el pueblo maravillas» von Daniel Díaz Torres 1991 zu einem ungünstigen Zeitpunkt heraus – Spannungen, gesteigerter Druck vom nördlichen Nachbarn und Lieblingsfeind – und wurde prompt verboten (was den Film natürlich adelte und in den Kultstatus erhob). Díaz selber schreibt in einem Beitrag zu einem Buch über die kubanischen Komödien: «Niemand war darüber uneins oder besorgt, dass sich der Filmemacher, um mit Humor und Bissigkeit die Mängel der Vergangenheit aufzeigen zu können, des Genres der Komödie bediente, wenn er seine Sichtweise auf die Gesellschaft ausdrücken wollte.»

Doppelsinnigkeit

Kubanerinnen und Kubaner sind sich an die Doppelmoral der Politik gewöhnt, und sie lieben die Doppelsinnigkeit im Kino. Es gibt kaum eindrücklichere Kinoerlebnisse als das Betrachten einer kubanischen Komödie in Havanna selber. Kaum eine Einstellung in einem Schwank wie «Un paraíso bajo las estrellas» von Gerardo Chijona, in der der Saal nicht tobt. Erzählt wir da im Soap-Stil eine Beziehungsgeschichte rund um den legendären Nachtclub Tropicana, der etwas ausserhalb des Stadtzentrums gelegen ist und halb unter freiem Himmel, halb gedeckt noch heute die Menschen in Scharen anzieht fürs nächtliche Spektakel um Schönheit, Tanz und Musik. Während Filmvorführungen in Havanna wird immer wieder spürbar, welche Ventilfunktion Humor auch haben kann. Das gerammelt volle Kino wird zum Fussballstadion, die Menschen leben mit, kommentieren, applaudieren, lachen, alles ist ein Traumspiel, das doch bitte kein Ende nehmen möge, dem vor allem nicht wieder ein Stromausfall einen Abbruch liefern soll. In kubanischen Filmen prägen denn Absurditäten des Alltags Geschichten im Kino. Hat ein Autor mal seine Konstellation, kann er das Leben an ihr reagieren lassen, braucht er nur wenig zu überzeichnen, da der Alltag die Komödie ist und der Film lediglich das Dokument davon. Kubas Hauptform von filmischem Humor baut auf den Widerspruch. Der kann in zugespitzten Dialogen herausgearbeitet werden, aber auch in Kombination von sich widersprechendem Dialog und Bild. Komik wird zurückhaltend eingesetzt und in der Regel sehr stilbewusst. In der Komödie «Nada más» von Juan Carlos Cremata ist eine Postangestellte die Hauptfigur. Sie bearbeitet einzelne Briefe, um Leute glücklich zu machen. Wichtig aber ist ihr Umfeld: Eine Poststelle, die nach Kriterien funktioniert, die allem dienen mögen, nur nicht der effizienten Spedition von Post. Liebend gerne spielen Regisseure wie Gutiérrez Alea oder Díaz Torres auch mit der Körpersprache, auf die sie das Augenmerk des Publikums durch entsprechende Cadrage fokussieren. Viele kubanische Filme sind durchsetzt von Doppeldeutigkeiten oder mehr oder weniger klaren politischen Winks. Die Wahrsagerin in «Quiéreme y verás» sagt einem der Bankräuber vor dem Raub (und damit: vor der Revolution) «frustración y salvación» voraus für das, was auf ihn zukommen werde. In «La vida es silbar» heisst die Mutter, die ihren Sohn verlassen hat, weil er nicht so herausgekommen ist, wie sie sich das vorgestellt hatte, Cuba.

Walter Ruggle