Mohamed Malas wurde 1945 im syrischen Kuneitra geboren, unweit der Grenze zum heutigen Israel, von dem der wichtige Verkehrsknotenpunkt Kuneitra im Sechstagekrieg zerstört wurde. Jetzt blendet Malas zurück in die Zeit zwischen 1936 und 1967. Er schildert in Al Leil die Kindheit eines Knaben, der als Erwachsener den Spuren des Vaters nachgeht, den Zeiten der ständigen Absenz. Eines Tages war er überhaupt nicht mehr aufgetaucht, nachdem er während Jahren für die Demokratie gekämpft hatte, immer wieder mit seinen Kampfgefährten loszog und kaum Zeit fand für seine Familie, für sein Privatleben. Der Knabe wuchs mit seiner Mutter auf. Über sie erfährt der Junge auch einen Teil der Geschichte des Vaters.

Seinen Film hat Malas "gewidmet jenen, die im Dunklen kämpften und in der Stille starben." Er dreht das Rad der Zeit nicht einfach rückwärts, er webt vielmehr einen orientalischen Teppich voller Ornamente, auf dem die Zeiten sich überlagern, auf dem sich ein Bild der Geschichte entfaltet, das jenseits von Daten entsteht. Es gibt so etwas wie den Konjunktiv in dieser Erzählform, die Malas wählt, das Mögliche, das das Wirkliche mitbestimmt. Da berichtet die Mutter im Off von einem Ereignis, und gleichzeitig sehen wir sie im Bild, das Erzählte erleben. "Papa, ist es noch weit bis Palästina?" lautet eine der Fragen, auf die der Knabe keine Antwort kriegen kann, je länger je weniger. Denn allmählich wird auch das Ideal der Demokratie verraten, stehen jene, die während Jahren unter Selbstaufopferung für sie kämpften, allein im Regen einer Diktatur, die sich selber feiert.

"Al Leil" ist nicht nur in seiner Konstruktion der übereinanderglegten Zeit-Folien faszinierend, Malas liebt überhaupt die visuelle Erzählform, er setzt auf Fotogramme. Spiegel, Durchblicke, Schatten, dann die Füsse der Mädchen unter der Wand, die Scherben angesichts des Mannes, die Schleier, die Tücher. Bei einer Rasur wird nebenbei auch die Bedeutung der Erzähltradition deutlich, die eine Neuigkeit mitunter wie ein Lauffeuer unter die Leute bringt und handkehrum weit zurückgreift in der Geschichte, sich Zeit nimmt, die Zeit auszuloten. Der Film handelt vom Leben in der Erinnerung, vom Eingebundensein der Gegenwart in der Vergangenheit, von der Einsamkeit in der Trennung, vom Traum Palästina. Das Lauschen, das Spienzeln, das Tasten, kurz: Die Sinnlichkeit ist gross geschrieben. Bis dass Gegenwart und Vergangenheit in einem Bild sich überlagern.

Walter Ruggle

Originaltitel Al Leil
Deutscher Titel Die Nacht
Französischer Titel La nuit
Andere Titel La notte - The Night
RegisseurIn Mohamed Malas
Land Syrien
Kinoformate 35mm, DVD, DCP
Drehbuch Mohamed Malas, Ussama Mohamed
Montage Kais Al Zubaidi
Musik Vahe Demrejian
Kamera Youssef Ben Youssef
Ton Gilles Baste, Pascale Baste
Produktion Organisme national du cinéma; Maram for cinema, Libanon; La Sept, Frankreich
Länge 119 Min.
Sprache Arabisch/d/f oder i
SchauspielerInnen
Sabah Jazairi Wissal, die Mutter
Fares Al Helou Alallah, der Vater
Omar Malas Alallah, das Kind
Maher Sleibi Awad, der Friseur
Riad Chahrour Wissals Vater
Nada Homsi Awads Frau
Nizar Abou Hajar der Cheickh
Rafiq Sbei Kämpfer; Präsident
Auszeichnungen

Goldener Tanit (Bester Film) Karthago, 1992; Grosser Preis Fribourg, 1993; Grosser Preis Brügge, 1993; Selektion Internationales Forum des Jungen Films, Berlin 1993

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