Avé

Sich selber ständig neu erfinden

Ausserhalb von Sofia treffen Avé und Kamen aufeinander. Er macht Autostopp nach Ruse, sie schliesst sich ihm ungebeten an. Ein Roadmovie beginnt in den Norden Bulgariens und hinein in die Gegenwart eines Landes, das den Anschluss an die Welt noch nicht geschafft hat. Da sind zwei verloren wirkende junge Seelen unterwegs durch die Gegenwart und entdecken erst allmählich ihre Gefühle. Ein starkes Stimmungsbild und ein Film über das jugendliche Alter, in dem man sich das Leben noch erfinden kann.

Der Spielfilm Avé stand im Programm einer wichtigen Nebensektion von Cannes, und er gehörte für mich zu den überzeugensten Filmen der Ausgabe 2011. Warum? Avé ist zunächst ein Roadmovie mit zwei jugendlichen Figuren, die unterwegs sind in ihrer bulgarischen Heimat. Das heisst, er bietet uns Gelegenheit, ins Innere eines gerade im Kino wenig vertrauten Landes zu reisen und etwas von seiner Stimmung zu erfahren, ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der alten Systeme. Die Kamera tastet die vorbeiziehenden Landschaften und Silhouetten wie nebenbei ab. Mindestens so wichtig wie dies scheint mir die Besetzung und die Zeichnung der beiden Jugendlichen - oder müsste man besser sagen, das Modellieren der beiden Figuren, ist Regisseur Konstantin Bojanov doch von Haus plastisch arbeitender Künstler? Anjela Nedyalkova als Avé und Ovanes Torosyan als Kamen brillieren mit ihrer abwesenden Präsenz je auf ihre Art. Sie als äusserlich muntere titelgebende Figur, er als eine Art Schatten seiner selbst. Zwei Jugendliche in einem Land des Ostens von heute. 

Perspektiven gibt es für sie wenige, Träume umso mehr. Ein Drittes macht den Film faszinierend: Es ist das freie Spiel mit der Wahrheit, das Avé bis zur Selbstverleugnung pflegt. Während Kamen ans Begräbnis seines Freundes reisen und möglichst mit niemandem reden möchte, plaudert Avé unterwegs mit den Fahrern munter drauflos und erfindet immer wieder neue Geschichten auf deren Fragen. Bald einmal weiss man nicht mehr, was wahr ist und was erfunden, bis man begreift, dass es fürs Leben manchmal besser ist, sich neu zu erfinden, weil die Umstände es wollen und die Wahrheit keine Rolle spielt oder nicht gefragt ist. Die Entwicklung einer stillen Liebesgeschichte, in der die Ehrlichkeit elementar sein wird, geht einher mit diesem Spiel. 

Walter Ruggle

 

Festivals & Auszeichnungen

Semaine de la critique Cannes 2011

Grand Jury Prize Festival Sarajevo

Critics Prize Festival Warsaw

Young Talent Award, Hamburg

artwork

Credits

Originaltitel
Avé
Titel
Avé
Regie
Konstantin Bojanov
Land
Bulgarien
Jahr
2011
Drehbuch
Konstantin Bojanov, Arnold Barkus
Montage
Stela Georgieva
Musik
Tom Paul
Kamera
Nenad Boroevich, Radoslav Gotchev
Ton
Momchil Bozhkov, Chris Davis, Tom Paul
Kostüme
Marina Yaneva
Ausstattung
Nikolay Karamfilov, Samuil Ganev
Produktion
Elements Ltd, Camera Ltd, KB Films
Formate
DVD, Blu-ray, DCP
Länge
88 Min.
Sprache
Bulgarisch/d/f
Schauspieler:innen
Anjela Nedyalkova (Avé), Ovanes Torosyan (Kamen), Martin Brambach (Chauffeur), Svetlana Yancheva (Muttervon/mère de Viktor), Nikolay Urumov (Ex-Colonel), Elena Rainova (Tante), Krasimir Dokov (Onkel), Iossif Sarchadzhiev (Vater/Père), Bruno S. (Bruno S.)

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Pressestimmen

Zwei Jugendliche unterwegs zu sich

Per Autostopp in die erwachsene Welt

«Eine kleine poetische Perle.» Tageswoche, Basel

«Eine zärtliche Erfahrung reinster Poesie.» Première

«Ein fein erzähltes Roadmovie: Konstantin Bojanov wirft Fragen nach Wahrheit, Träumen und Selbstverleugnung auf, die sich wohl nicht nur junge Menschen immer wieder stellen.» Zürcher Studierendenzeitung ZS

«Ein romantisches Road-movie, das von einer unwiderstehlichen jungen Frau auf der Flucht geprägt ist, die ebenso lügnerisch wie verführerisch wirkt.» Télérama

«Bojanovs Film ist herrlich nah am alltäglichen Konflikt zwischen Wahrheit und Lüge, Erwachsenwerden und Kindsein.» Art-TV

«Der Film liefert eine stille, ja geradezu meisterhafte Momentaufnahme eines Landes im Osten Europas.» Medientipp, Christine Stark

«Die unfreiwillige gemeinsame Reise hat sie zusammengebracht, und für beide wird die Begegnung zu einem Wendepunkt im Leben.» Radio DRS, Michael Sennhauser

«Die Schauspieler sind von frappanter Natürlichkeit, die Plansequenzen dominieren wie selten und in ihnen spiegelt sich ein ganzes Land.» Le temps

 «Erfrischend ist auch die Ehrlichkeit, mit welcher Bajanov die beiden talentierten Jungdarsteller filmt, rühmenswert die Art, wie er die Sexualität der Teenager thematisiert.» Students

«Mit viel Feingefühl, Witz und Charme überzeugen Anjela Nedyakova und Ovanes Torosyan.» Critic

«Les comédiens sont d’un naturel confondant, les plans-séquences respirent comme rarement. Et c’est tout le pays qui se reflète dans ce contraste entre les mensonges de l’une et l’exigence de vérité de l’autre. Au passage, on note aussi la présence de Bruno S., simplet qui fut autrefois le Kaspar Hauser et le Stroszek de Werner Herzog – un de ces choix qui vous posent un cinéaste à suivre.» Norbert Creutz, Le Temps

«Avé est le digne héritage du road movie. Il est un voyage initiatique aux confins de la Bulgarie contemporaine. Une douce expérience de poésie pure.» Première 

Konstantin Bojanov:

«Sometimes you find yourself in a whirlpool of events larger and more powerful than yourself. You spin and twist, and what was before familiar becomes harder and harder to grasp.
Such was my experience with the untimely death of one of my teenage friends. When I learned that he had committed suicide, I hastily set out to hitchhike to his village - arriving eventually, but too late for the funeral. One night, a few years earlier, I returned home to find a sixteen-year-old runaway girl at my doorstep. I invited her in and she accepted, but only after making me promise that I will never ask her why she was there. I instantly fell in love with her. Though we knew each other for only a brief period of time, she profoundly affected my life.»