Domésticas, o filme

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In Brasilien gibt es so etwas wie ein unsichtbares zweites Land, jenes der Domésticas, der Hausangestellten. Sie heissen Cida, Roxanne, Quitéria oder Raimunda und sind tagaus tagein damit beschäftigt, anderen den Haushalt zu besorgen und das Haus sauber zu halten. Alle träumen sie von einer glücklichen Heirat, einem besseren Mann oder einer Karriere als Mannequin. Domésticas ist nun nicht etwa ein dokumentarischer Report über Hausangestellte, es ist vielmehr ein schmissiger Spielfilm voller Witz und Humor, der für einmal ganz einfach Menschen hinter den Kulissen einer lateinamerikanischen Grossstadt zu Hauptfiguren macht. Es ist eine Komödie mit hervorragenden SchauspielerInnen, die so echt wirken, dass man mitunter das Gefühl bekommt, sie alle seien längst wieder in den Küchen am Putzen. Es ist auch ein Film voll kleiner Hoffnungen aus dem Alltag.
Domésticas ist zunächst ein starkes Stück lateinamerikanischer Realität. Wer je auf dem Kontinent unterwegs war und dabei privat unterkam, der kennt sie, die Hausangestellten, die mit unterschiedlichem Geschick den Haushalt besorgen und häufig auf eine durchaus liebevolle Art fester Bestandteil einer Familie sind. Sie stammen aus den unteren gesellschaftlichen Schichten und haben meist mehr Kinder zu ernähren als die Leute, die ihnen Arbeit geben. Sie mögen nicht immer mit grösstem Geschick ans Werk gehen, aber es wird ihnen vieles verziehen.
Die brasilianische Autorin Renata Melo hat sich intensiv mit den Domésticas auseinandergesetzt und basierend auf ihren Recherchen ein Theaterstück geschrieben, das einen immensen Erfolg verzeichnete. Im Frühjahr 2001 folgte das Kino, und auch hier schafft es Melo, das Leben hinter den Kulissen auf amüsante und dennoch vielschichtige Art zu beschreiben. Während die Arbeit Gebenden gar nicht sichtbar werden, sind wir ganz auf der Seite der Hausangestellten. Ihr Lebensrhythmus prägt den Film. Ihre Statements, in denen einzelne immer mal wieder aus der Spielhandlung heraustreten, über Gott und die Welt nachdenken und von ihren Träumen reden, kommentieren das Geschehen.
Erfrischend, wie das erfahrene Regiepaar Fernando Meirelles und Nando Olival zwischen so unterschiedlichen Formen wie dem sachlichen Statement und der aktionsreichen Handlung switcht. Hier ein spielfilmmässig inszenierter Überfall im Linienbus mit den Hausangestellten, bei denen es wenig zu holen gibt, da die Betrachtung, die wie aus einer sorgsam fotografierten Studie wirken, dann die Musik, die immer wieder rhythmische Akzente setzt und Domésticas zu einem bewegten Erlebnis macht. Ganz nebenbei erfahren wir viel über das Leben in und hinter den Kulissen einer lateinamerikanischen Grossstadt. Es ist Sao Paulo in diesem Fall, doch es könnte auch Lima, Mexico City oder Buenos Aires sein. Warum? Weil dieser Film über die Stadt hinaus von grundlegenden Freuden und Ängsten spricht, von Hoffnungen auch und universellen Gefühlen. Auf alle Fälle schliessen wir sie unverzüglich ins Herz, Cida, Roxane, Quitéria, Raimunda, Creo und die anderen. Eine von ihnen wird von der Autorin Renata Melo selber gespielt. Der Film überzeugt, weil er bei allem Unterhaltungswert ein hohes Mass an Authentizität behält.
Walter Ruggle

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Credits

Originaltitel
Domésticas, o filme
Titel
Domésticas, o filme
Regie
Fernando Meirelles
Land
Brasilien
Jahr
2000
Drehbuch
Renata Melo
Montage
Deo Teixeira
Musik
Andre Abujamra
Kamera
Lauro Escorel
Ton
Guilherme Ayrosa, Miriam Biderman
Kostüme
Cristina Camargo
Ausstattung
Frederico Pinto
Produktion
O2 filmes, Sao Paulo, Brasil
Formate
35mm, DVD
Länge
88 Min.
Sprache
Portugiesisch/d/f

Pro Material

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Pressestimmen

«Domésticas» beruht auf einem in Brasilien sehr erfolgreichen Tanztheaterstück, das die Autorin und Schauspielerin Renata Melo aus Protokollen von Gesprächen entwickelte, die sie Mitte der 90er Jahre mit einer grossen Zahl von Hausangestellten im Raum São Paulo geführt hatte. Ohne Zweifel schimmert nun in «Domésticas, o filme», den die beiden Regisseure Fernando Meirelles und Nando Olival in enger Zusammenarbeit mit Renata Melo realisiert haben, diese Herkunft bisweilen durch. Dies wird etwa im Einsatz der Musik deutlich, einer bizarren Mischung aus Rap und den banalen Schnulzen der sogenannten «Tacky»-Musik, einer oberflächlichen Mischung aus Samba und Schlager. (...) Die Rasanz der Schnitte, das konsequente Hin und Her zwischen Fiktion und Pseudo-Dokumentarischem, das oft atemberaubende Tempo der nur locker angedeuteten Handlungsstränge machen aus «Domésticas» einen collagehaften Film, der bisweilen an einen überdimensionierten Videoclip erinnert. (...) Es sind Einfälle dieses Kalibers, die den Zauber von «Domésticas» ausmachen, sie machen aus ihm zwar einen durchaus sozialkritischen Film, der engagiert und aus einer feministischen Optik heraus die Realität eines gewichtigen Teils der brasilianischen Bevölkerung einzufangen versucht. Und doch hat dieses Werk mit vordergründiger politischer Korrektheit so rein gar nichts am Hut, sondern vermittelt mit lautem Lachen, unbändiger Lebenslust und ungebremster Verspieltheit ein authentisches Stück lateinamerikanischer Gegenwart.»

NZZ

«Auf den ersten Blick haben «Eu, tu, eles» und «Domésticas» (Hausangestellte) wenig gemeinsam - sieht man einmal von ihrer geografischen Herkunft und von der Tatsache ab, dass die Regisseure beider Filme jung und bei uns gänzlich unbekannt sind. Während die «dramatische Komödie» des 1970 geborenen Andrucha Waddington in berauschend schöner Breitwandfotografie eine aberwitzige Geschichte konventionell erzählt, kommt «Domésticas» als wild wuchernde Doku-Fiktion daher, die sich in collagehafter Weise und unter weitgehendem Verzicht auf eine einzige durchgehende Handlung entwickelt. Innerhalb des aktuellen brasilianischen Kinos ist «Domésticas» unter diesem Aspekt möglicherweise der typischere Film, denn es gab in letzter Zeit eine ganze Reihe weiterer Filme, die solch offenere Formen bevorzugten. Nando Olival, der jüngere der beiden Regisseure von «Domésticas», formulierte es kürzlich in einem Gespräch so: «Momentan gibt es in Brasilien eine ganze Reihe von Leuten, die Kino als offene Forschungsreise präsentieren; dabei machen sie formal, was sie wollen, mixen Fernsehformen mit Kino und Theaterelementen und überraschen so manchmal die Zuschauer.» Der temporeiche Erstling von Meirelles/Olival über das Leben und die Träume von fünf weiblichen Hausangestellten (Domésticas) in São Paolo gibt dabei in gewissen Szenen immer wieder vor, dokumentarisch zu sein, um gleich darauf den Zuschauer unbändig lachend in die verrückte Welt der Fiktion zu schicken. Er sei der Meinung, im brasilianischen Kino sei bereits alles gesagt worden, was es zu den nach wie vor krassen sozialen Verhältnissen zu sagen gebe, führte Nando Olival im erwähnten Gespräch weiter aus und lieferte damit auch gleich eine mögliche Erklärung dafür, wieso in letzter Zeit manch ein Regisseur einen unbändig ironischen Erzählstil einer direkten Denunzierung sozialer Realitäten und Probleme vorgezogen hat.»

Aargauer Zeitung