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Interview

«Ich liebe Heldinnen, die die Liebe in den Wahnsinn treibt»

Ein Interview mit Regisseurin Ramata-Toulaye Sy über ihr Debüt «Banel & Adama».

Ramata-Toulaye Sy, wie sind Sie auf die Idee dieses Films gekommen?

Ich wollte die grösste afrikanische Liebesgeschichte erzählen, die je geschrieben wurde, und sie in der Gemeinschaft der Fulbe in Senegal ansiedeln. Eine Geschichte wie Romeo und Julia, aber mit einer Julia, die zur Lady Macbeth mutiert. Ich hatte Lust, eine Figur zu erschaffen, einen komplexen und tiefgründigen Tragödiencharakter.

Wie konnten Sie die griechische Tragödie und die Fulbe zusammenführen?

Ich bin in Frankreich mit senegalesischen Eltern aufgewachsen und hatte das Glück, in jungen Jahren öfters nach Senegal zu reisen. Zuhause wurde ich in der Tradition der Fulani erzogen. Mir war es sehr wichtig, in dem Film alles zu vereinen, was ich bin: meine doppelte Staatsbürgerschaft und meine Kultur. Angefangen bei der Tragödie, die mich während der Schulzeit begleitet hat, da ich viel Theater spielte. Aber ich habe auch viele Märchen der Fulani gelesen. All das wollte ich in meinen Film einfliessen lassen, alles, was ich liebe und was ich bin. Sogar Harry Potter, den ich rauf und runter gelesen habe, weil ich Magie und Fantasy sehr mag.

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel und Adama lieben sich

Sie sprechen die Last der Traditionen an. Wie sind Sie an das Thema herangegangen?

Das rührt von einer Frage, dich mich beschäftigt und die der Ausgangspunkt des Films war: Wie kann man seine Individualität in einer Gemeinschaft finden, ohne diese abzulehnen? Wenn man sich von seiner Familie und den Eltern zu emanzipieren versucht, bedeutet das nicht, dass man sie leugnet, sondern dass man sich selbst als Frau finden will und muss. Will man danach so weiterleben, wie es einem gefällt, wird es schwierig. Stellen Sie sich vor, in einem Dorf gibt es Menschen, die anders leben wollen als die andern. Ich habe keine Antwort, ich weiss nicht, ob das geht, aber wenn ich behaupte, dass es nicht möglich ist, dann deshalb, weil der Film eine Tragödie ist und keine realistische Erzählung.

Warum haben Sie den Film in Nordsenegal angesiedelt?

Genau genommen haben wir im Nordwesten gedreht, im Landstrich Fouta Toro, in einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Podor. Es ist die Region, aus der meine Eltern stammen, die ich kenne und die mir viel bedeutet. Dort lebt auch eine grosse Fulani-Gemeinschaft, acht Stunden von Dakar entfernt, an der Grenze zu Mauretanien.

Wie haben Sie mit den Menschen vor Ort zusammengearbeitet?

Das war ziemlich einfach. Wir sind im Dorf angekommen und dem Protokoll gefolgt. Bevor wir mit dem Dorfchef sprechen konnten, mussten wir den Imam um Einverständnis bitten. Aber niemand liest das Drehbuch, darum geht es gar nicht. Vor Ort interessiert man sich für die Menschen, die Personen, das Menschliche. Sie wollen wissen, wer man ist, was man will und warum man ihr Dorf ausgewählt hat. Also setzt man sich einfach hin, trinkt Tee, erzählt und erklärt. Sobald der Imam sein Einverständnis gegeben hat, kann man zum Stammesoberhaupt und so weiter. Die Menschen waren ausserdem sehr erfreut, weil es ihnen Arbeit verschaffte. Sie halfen bei der Logistik, bei der Ausstattung, arbeiteten in der Statisterie. Die grosse Mehrheit hatte noch nie ein Filmteam gesehen. Es war eine neue Erfahrung für sie, und sie haben uns mit offenen Armen empfangen.

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel unter ihrem Lieblingsbaum

Ein Sohn, der die Befehle seiner Mutter verweigert, mag in einer solchen Kultur unwahrscheinlich erscheinen.

Ja, es handelt sich um eine Fiktion. Ich wollte keinen realistischen Film drehen, keinen Film über die Migration, gesellschaftliche Probleme oder Krieg in Afrika. Das gibt es zur Genüge. Deshalb habe ich meiner Fantasie freien Lauf gelassen, bis hin zum magischen Realismus. Banel ist fähig, jemanden umzubringen, aber sie bleibt eine fiktive Figur, obwohl es dort Frauen geben muss, die töten. Adama ist auch eine erfundene Figur, und wenn er beginnt, sich seiner Mutter zu widersetzen, ist das etwas weniger unwahrscheinlich, denn das kommt vor, wenn auch selten. Es war ein Wunsch von mir, eine Geschichte gänzlich zu erfinden, es ging nicht darum, einen Dokumentarfilm oder eine Reportage zu drehen. Ich hatte keine Lust, ein afrikanisches Dorf zu porträtieren, ich hatte Lust, meine Geschichte vor dem Hintergrund einer Gesellschaft zu erzählen, und habe mich deshalb stark von der Literatur inspirieren lassen.

Sind die Spielenden Profis?

Nein, keiner von ihnen hat je in einem Film mitgespielt. Es war für alle das erste Mal. Wir haben ein grosses Casting gemacht und dann viel gearbeitet, im Vorfeld der Dreharbeiten fast zwei Monate lang mit Coaches geprobt. Ich habe ihnen auch Filme gezeigt. Khady Mane, die Banel spielt, habe ich Filme von Frauen ans Herz gelegt, die die Verliebtheit in den Wahn treibt, wie Camille Claudel oder L’Histoire d’Adèle H mit Isabelle Adjani.

Worauf haben Sie bei der Auswahl der Besetzung geachtet?

Vor allem auf Authentizität. Zuerst wählten wir Malik aus. Er war am leichtesten zu finden, obwohl die Rolle schwierig ist, weil sie fast keinen Text hat und er fast alles über den Blick kommunizieren muss. Als wir ihn getroffen haben, war er schon fast so wie die Figur, ein wenig merk- würdig sogar. Unvergleichlich schwieriger war es, eine Schauspielerin für die Rolle der Banel zu finden. Während des Castings hatten wir keinen Erfolg, aber dann ging ich eines Abends durchs Dorf und unsere Blicke kreuzten sich. Ich bat sie, sich zu uns zu gesellen. Sie wollte erst nicht, denn sie ist sehr schüchtern, ich musste etwas nachhelfen.

Der Trailer zum Film

Woher kommt dieser Funken Verrücktheit bei Banel?

Ein wenig von mir. Ich bin sehr leidenschaftlich veranlagt, zuweilen richtig besessen. Ich würde nicht soweit gehen, Tiere zu töten, aber Banel ist von meiner eigenen Persönlichkeit inspiriert. Auch von Phädra und Medea, denn ich liebe diese Heldinnen, die die Liebe in den Wahnsinn treibt. All das hat mir geholfen, die Persönlichkeit einer schwarzen und afrikanischen Frau zu erschaffen, die zum Mythos wird wie die Figuren einer griechischen Tragödie.

Wenn Sie noch nie ein Tier getötet haben, wie haben Sie die Szene der toten Kühe arrangiert?

Kein Tier wurde misshandelt oder getötet, seien Sie unbesorgt! Für die toten Kühe hätten wir so genannte SFX bauen lassen können, aber das war sehr teuer. Wir mussten eine kurzfristige Lösung am Abend vor dem entsprechenden Drehtag finden: Das Ausstattungsteam graste die Region ab und sammelte tote Kühe am Strassenrand ein, es waren viele!

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel ist Rebellin durch und durch

Wie wurde der Klimawandel zum Thema?

Das Problem betrifft mich und viele andere Menschen, und es war mir wichtig, darüber zu sprechen, weil Afrikanerinnen und Afrikaner sehr stark darunter leiden, obwohl sie am wenigsten dafür verantwortlich sind. Ich habe mich daher entschieden, das Thema mit dem Fluch von Banel in Verbindung zu bringen: Das Chaos, das Banel provoziert, wird als Ursache für die Trockenheit verstanden. Sodann spiegelt sich das Thema uch in der Tatsache, dass sie die Natur zerstört und Tiere tötet. Ich wollte sie so haben, als Metapher für uns alle auf diesem Planeten, den wir nicht respektieren und dessen Klimakatastrophe wir verursachen. In ähnlicher Weise steht die Figur Malik für Banels Schuld. Sie fürchtet niemanden,und so brauchte ich einen unschuldigen Blick, der sie aufschreckt, um dieses Gefühl auszudrücken. Sie ist eine Metapher für die Schuld, die wir alle tragen.

Wie fühlt es sich an, wenn man sich im Wettbewerb von Cannes neben Filmemachern wie Ken Loach oder Marco Bellocchio wiederfindet?

Es war eine grosse Überraschung und ein riesiges Glück. Cannes ist der Traum von allen. Für den ersten Film erhofft man sich, in eine Parallelsektion aufgenommen zu werden, rechnet aber niemals damit, es direkt in den Wettbewerb zu schaffen, vor allem nicht als afrikanische Produktion. Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Filme aus Afrika haben es schwer, werden wenig vertrieben und sind sogar an Festivals selten zu sehen. Einen Film in Cannes zu haben und Senegel am Oscar-Rennen zu vertreten macht mich und auch meine Familie stolz. Aber ich verheimliche Ihnen nicht, dass es mich auch ziemlich unter Druck setzt.

portrait Ramata-Toulaye Sy

Ramata-Toulaye Sy:

Ramata-Toulaye Sy was born to Senegalese parents in France, where she also grew up. She trained as a screenwriter at the Paris film school La Fémis, graduating in 2015. Ramata began writing screenplays in collaboration with experienced filmmakers in small teams. In 2018, she was involved in the scr…

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